Wir sind schon lange ein Land voller Menschen, die ihre Heimat vor Jahren oder Jahrzehnte verlassen mussten – und die heute unsere Gesellschaft mit gestalten, prägen, verbessern. Hier sind ihre Gesichter, hier sind ihre Geschichten.
„Man sollte die Welt aus der Ferne betrachten wie ein Kosmonaut, ohne die Trennung nach Rassen“
Lebt in:
Berlin
Der Weg nach Deutschland:
1991 mit sechs Jahren von Leningrad in eine Asylbewerberunterkunft in Berlin-Schöneberg
In Begleitung von:
Ihren Eltern
Im Gepäck:
Eine Stoff-Ente namens „Ente“, die sie bis heute besitzt
Auf ihre Anfänge in Deutschland angesprochen, erzählt Palina am liebsten die amüsanten Anekdoten: von ihrer Verwunderung darüber, dass man in Deutschland die Enten füttert, statt das Brot – mitsamt den Enten – selbst zu essen. Oder wie sie in der Asylbewerberunterkunft mit den anderen Kindern Ausländerbehörde gespielt hat. Palina ist Berlinerin. Wenn sie eine Balalaika hört, wird ihr trotzdem warm ums Herz. An ihrer Heimat Russland mag sie besonders die Volksmusik, das traditionelle Essen und die endlose Weite.
Hat deine Familie Russland freiwillig verlassen?
Na ja, mehr oder weniger… Es war das Ende der Sowjetunion, und es gab einfach krasse Missstände im Land, die durch das damalige System auch nicht geändert oder verbessert wurden. Heute kann man sich das vielleicht gar nicht mehr richtig vorstellen, aber es gab eben einfach oft auch nichts zu essen. Das Leben war anstrengend und entbehrungsreich – obwohl meine Eltern gearbeitet und sehr stark für was Besseres gekämpft haben. Selbst als studierte Menschen wie die beiden hatte man wenig Chance auf einen wirklich guten Job und fast gar keine auf ein ansatzweise gutes Leben. Es gab einfach nichts. Kaum Läden, und da dann vor allem auch quasi nichts zu kaufen. Meine Eltern waren 31 Jahre alt und wollten einfach mehr. Als der erste Hinweis auf eine Ausreisemöglichkeit kam, haben wir es sofort probiert. Deutschland hat uns aufgenommen. Erst meinen Vater – und dann auch meine Mutter und mich.
Eine Erleichterung?
Schon. Aber es war trotzdem nicht so, dass wir unser Land gern verlassen hätten. Es war schließlich Heimat, gerade für meine Eltern. Ich hab vor allem alle meine Freunde zurückgelassen. Niemand gibt einfach so sein Leben auf. Weder Flucht noch Immigration ist eine leichte Sache.
Wird das in Deutschland oft vergessen?
Vielleicht. Denn wenn man aus Deutschland kommt, auch wenn man von Deutschland aus irgendwo anders hinzieht, um dort zu leben, hat man ganz andere Voraussetzungen. Man ist in jedem Fall sehr gebildet, schon allein was den Weitblick angeht, den man hier durch Schule, Gesellschaft und freie Medien vermittelt bekommt. Man lernt Englisch, man weiß, wie die Welt funktioniert, man fühlt sich sicher. Das ist nicht selbstverständlich.
Sind das deiner Meinung nach die Stärken dieses Landes?
Absolut.
Wie wichtig sind Bildungsmöglichkeiten, vor allem in Bezug auf Sprache, wenn man neu in Deutschland ist?
Auf jeden Fall total wichtig. Ich selbst hatte das Glück, dass ich sehr schnell Deutsch gelernt hab. Durch Fernsehen, durch Schule und auch durch den Sport, den ich schon in Russland gemacht hab. Dadurch kommt man natürlich gut in Kontakt mit Deutschen und der deutschen Mentalität. Das ist schon echt wichtig. Was aber nicht heißt, dass man zwangsläufig total Deutsch werden muss. Überhaupt finde ich es schwierig zu definieren, was Deutschsein nun eigentlich ausmacht.
Welche Vorstellung hattest du von dem Land, in das ihr gegangen seid?
Keine, ich hatte überhaupt kein Bild vor Augen – nur Freiheit. Ich dachte, Deutschland sei wie eine andere Galaxie ohne Anarchie, in der man nicht mehr unter Repressalien lebt. Ein Land, in dem man sich verwirklichen darf. Oder auch was Positives beitragen kann.
Wie wurdet ihr aufgenommen?
Na ja, auch 1992 war es nicht so, dass die Menschen gejubelt hätten, als die Einwanderungswellen kamen. Und zur Erinnerung sag ich’s gern noch mal: Danach ist ja nun auch nichts Schlimmes passiert! Die Deutschen und wir Ausländer haben’s damals überlebt, jetzt geht’s uns zusammen gut. Und wir haben zum Beispiel Helene Fischer, und wir haben zum Beispiel mich… (lacht)
Wurdest du als Kind von den anderen akzeptiert?
In der Schule war es manchmal nicht so toll. Da wurde ich als Ausländerschwein beschimpft. Interessanterweise übrigens auch von anderen ausländischen Kindern.
Hast du das verstanden?
Ne, weil ich gar nicht verstanden habe, was Ausländerschwein heißt. Dass mir der Tafelschwamm an den Kopf geworfen wurde, das habe ich verstanden – und mich dann auch richtig geprügelt, in der ersten und zweiten Klasse.
Wo fängt für dich Rassismus an?
Ganz ehrlich: Ich teile da gar nicht ein in Rassen oder Rassisten, sondern in Misanthrop und Philanthrop. Wer sich menschenfeindlich verhält ist ein Menschenfeind. Egal wem gegenüber! Wenn jemand andere Menschen nicht so mag, ist das immer uncool. Man sollte die Welt aus der Ferne betrachten wie ein Kosmonaut, ohne die Trennung nach Rassen: Wir sind eigentlich alle eins. Und darum geht’s. Nächstenliebe ist das, was wir jetzt brauchen.
Was sollten Menschen mit Berührungsängsten tun?
Andere Leute kennenlernen!
Was kann jeder Einzelne machen, um Flüchtlingen zu helfen?
Ich glaube, Offenheit ist wichtig. Diese Offenheit sollte man zeigen. Das geht alles mit Händen und Füßen! Und wenn’s der jeweilige Glaube erlaubt, vielleicht einfach auch mal ’nen kleinen Wodka zusammen trinken – das macht warm.