Wir sind schon lange ein Land voller Menschen, die ihre Heimat vor Jahren oder Jahrzehnte verlassen mussten – und die heute unsere Gesellschaft mit gestalten, prägen, verbessern. Hier sind ihre Gesichter, hier sind ihre Geschichten.
„Ich helfe anderen Flüchtlingen auch, damit ich mich besser fühle. Ich denke, dass ich Deutschland was schuldig bin“
Lebt in:
Wedel bei Hamburg
Der Weg nach Deutschland:
1983 mit drei Jahren, ermöglicht von kurdischen Schmugglern, auf Pferden vom Iran über Kurdistan und die Türkei in die DDR, später von Ost- nach Westberlin und dann nach Hamburg
In Begleitung von:
Seinen Eltern und seinem Bruder
Im Gepäck:
Nichts
Dass Yashar anderen Flüchtlingen hilft, hängt er „nich’ so an die große Glocke“. Er macht es einfach – und so schwierig ist ein bisschen Unterstützung auch nicht, findet der Gastronom mit dem charmanten hanseatischen Slang. Zu flüchten dagegen, das sei schwer. Dafür, dass er es vor 32 Jahren mit der ganzen Familie nach Deutschland geschafft hat, bewundert Yashar seinen Vater noch heute.
Ihr seid durch Kurdistan über die iranisch-türkische Grenze geritten. Was war passiert?
Zu Zeiten des Schahs und auch unter den Mullahs wurden mein Vater und mein Onkel politisch verfolgt. Als mein Onkel erschossen wurde, hat mein Vater nicht lange nachgedacht: Er hat meine Mutter von der Arbeit, meinen Bruder und mich aus dem Kindergarten abgeholt. Dann ging’s sofort los.
Du warst drei, war dir sofort klar, dass ihr auf der Flucht seid?
Nein, das habe ich erst irgendwann unterwegs gemerkt. Und erst Jahre später habe ich realisiert, dass mein Vater darauf im Verborgenen schon lange vorbereitet war: Schon Monate vorher hatte er uns Kinder mit auf Reiterhöfe genommen und spielerisch daran gewöhnt, auf Pferden zu sitzen. Dann sind wir drei volle Wochen durchgeritten. In der Türkei haben meine Eltern danach ein halbes Jahr als Kofferträger am Bahnhof gearbeitet, bis sie sich Flugtickets nach Deutschland leisten konnten, wo wir Verwandte hatten. Bis heute finde ich es unglaublich, wie mein Vater das gemacht hat. Er war damals 30 Jahre alt. Ich bin jetzt 35 und wüsste nicht mal, wie ich ohne Geld und ohne die Sprache mit meiner Familie im Zug nach Frankreich auswandern sollte.
Bist du je wieder in den Iran zurückgekehrt?
Nein. Ich war nie wieder dort. Erst ging es wegen der politischen Verfolgung schon allein wegen meines Namens nicht. Später bestand dann die Gefahr, vom Militär eingezogen zu werden. Erst seit ich 33 bin, kann das nicht mehr passieren. Jetzt möchte ich gern bald fahren – dann aber ganz klar als Tourist.
Was hat dir geholfen, dich in Deutschland so wohl zu fühlen?
Kurt und Gretchen Klemann.
Wer sind das?
Zwei ältere Herrschaften, die so was wie Oma und Opa für mich geworden sind. Mein Vater hat Kurt kennengelernt, als er nachts nach Hause gegangen ist und gesehen hat, wie er von zwei Jugendlichen belagert wurde. Die hat mein Vater dann verjagt und den zittrigen Mann in seine Wohnung gebracht, die bei uns im Haus war. Sie haben Kaffee getrunken – und daraus ist eine Freundschaft entstanden. Uns Kinder haben die beiden echt quasi adoptiert. Die haben uns vom Kindergarten abgeholt, wenn unsere Eltern gearbeitet haben, und uns Karl May vorgelesen, erklärt was Ostern ist und Erbsensuppe gekocht. Über Jahre! Die hießen für uns Omi und Opi, ganz selbstverständlich. Heute weiß ich, wie sehr die beiden mir die Integration ehrleichtert haben. Und ich steh immer noch auf Erbsensuppe. Es hilft schon sehr, wenn einen jemand auch in Sachen Kultur an die Hand nimmt.
Heute engagierst du dich für junge Flüchtlinge.
Genau. Seit ungefähr acht Jahren schon. Wir gehen zusammen zum Amt, zum Arzt und so was. Der Kontakt zu den ersten Flüchtlingen hier in Wedel, wo ich wohne, hat sich durch Zufall ergeben – und seitdem ist das so’n Selbstläufer. Meine Nummer wird einfach weitergegeben. Eine professionelle Organisation oder so was gibt es nicht. Dass ich helfe, hat ja auch egoistische Gründe. Ich mach das auch, damit ich mich besser fühle. Weil ich mich fühle, als sei ich Deutschland was schuldig.
Inwiefern?
Deutschland hat viel für mich getan, ich möchte was zurückgeben. Ich glaub, die Welt funktioniert durch Geben und Nehmen. Ganz einfach.
Hat sich die Nachfrage nach deiner Nummer in den letzten Wochen und Monaten verstärkt?
Nicht merklich, weil die Unterkünfte in unserer Stadt einfach begrenzt sind. Die Zahl der Flüchtlinge hier ist eigentlich seit Jahren gleich geblieben.
Findest du, es sollte mehr Platz geben?
Schon. Aber ich denke auch, dass es nicht klug ist, Leute in Deutschland aufzunehmen, ohne zu planen, was weiter mit ihnen passiert.
Wo sollten Staat und Gesellschaft da ansetzen?
Als allererstes bei der Sprache. Es geht einfach nicht ohne! Verbindliche Sprachtests könnten für Flüchtlinge ein guter Weg in die Selbstständigkeit sein. Wer den Sprachtest nicht schafft, dem sollte allerdings nicht gleich mit Abschiebung gedroht werden. Das macht nur Druck und schürt nur Ängste schüren. Stattdessen sollte besser ein Belohnungssystem ausgearbeitet werden.
Hat deine Familie auch Wert auf Sprache gelegt, als ihr nach Deutschland gekommen seid?
Total. Und rückblickend sehe ich immer wieder, wie wichtig das war. Alle, die ich kenne, bei denen das früher auch so war, sind heute angekommen, gesettelt und integriert. Und die Familien, wo nicht so viel Wert auf die Sprache gelegt wurde, wo teilweise immer noch alle gebrochen Deutsch sprechen, für die läuft’s eben einfach auch weniger gut. Man sollte da dringend helfen! Am Ende ist es aber auch immer eine persönliche Entscheidung. Es ist wichtig, dass die Familie da Druck macht. Bei uns lagen zu Hause immer die Lehrbücher rum. Natürlich hatten wir da auch ma’ keinen Bock drauf. Aber Sprache verändert alles.
Sollten Helfer jetzt auch sofort versuchen, mit Flüchtlingen deutsch zu sprechen?
So weit es geht, auf jeden Fall! Das finden die auch gar nicht doof! Solange man’s sympathisch rüberbringt und nicht wie so’n Oberlehrer. Da freut sich jeder!
Ist Deutschland für dich Heimat?
Absolut! Das hier ist mein Deutschland, ich bin hier zu Hause, und ich fühl’ mich durch und durch als Deutscher. Hier kann ich sagen, was ich will, ich kann denken, was ich will, ich kann glauben, was ich will und anziehen, was ich will. Man ist sehr frei in diesem Land, wird gepusht und persönlich gefördert. Nur das iranische Essen, das mag ich heute noch besonders gern…
Gibt es noch was, das du hier vermisst?
Manchmal eine gewisse Herzlichkeit, vor allem innerhalb der Familie. Altersheime zum Beispiel gibt es woanders gar nicht! Von den Flüchtlingskids werde ich oft gefragt: Wohnen die Älteren nicht mit bei euch zu Hause? Ne, muss ich dann sagen, das macht man hier nicht so. Ich hab da selbst früher auch gar nicht so drüber nachgedacht. Aber das ist schon unfair: Erst füttern die ihre Familie durch, kümmern sich und machen sich Sorgen – und dann werden sie ins Altersheim abgeschoben. Das gefällt mir nicht. Der Respekt vorm Alter, der fehlt mir hier.